Boris Nad „Return of Myth“ (Manticore Press, Melbourne, 2016)
Boris Nad – Serbiens Poet der Tradition
Boris Nad „Return of Myth“ (Manticore Press, Melbourne, 2016)
Der serbische Schriftsteller Boris Nad ist den Lesern der Nortexa-Kulturabteilung durch unsere exklusiven Übersetzungen seiner geschliffenen und schnörkellosen, meist von mythischen und historischen Themen handelnden, literarischen Kurztexte bekannt. Seine Bücher waren allerdings bislang nur auf Serbisch verfügbar, nun erscheint mit „Return of Myth“ erstmals eine englischsprachige Auswahl seiner Texte. Grund genug, ihm einige Fragen zu stellen.
Die Fragen stellte Ruedi Strese
Nortexa: Werter Herr Nad – zuerst einmal Glückwünsche zu Ihrem ersten englischsprachigen Buch!
Nad: Danke für Ihre Glückwünsche! Und einen besonderen Dank für dieses Interview, welches mir die Gelegenheit gibt, die deutschen Leser anzusprechen. Es ist mir eine besondere Freude, da, dank Ihrer Bemühungen, Herr Strese, bereits die ersten Übersetzungen meiner Texte in Deutschland erschienen sind.
Nortexa: Ihr Buch heißt „Return of Myth“ („Wiederkehr des Mythos“), ein Titel, der eine Menge verspricht. Was ist der Grund für diesen Titel und in welcher Beziehung steht er zum Inhalt des Buches?
Nad: Der Mythos ist für uns – abgesehen von Sonderfällen extremer Degradierung und Säkularisierung von Tradition und Kultur – keine Fiktion für primitive Leute, Aberglauben oder Mißverständnis. Stattdessen ist er ein sehr prägnanter Ausdruck der höchsten heiligen Wahrheiten und Prinzipien, welche in eine spezifische Sprache des weltlichen Lebens „übersetzt“ werden, in einem Umfang, wie es praktisch möglich ist. Mythos ist sakrale Wahrheit, beschrieben in volkstümlicher Sprache. Dem Mythos entgegen steht die Geschichte. Die Schrift „An der Zeitmauer“ des deutschen Schriftstellers Ernst Jünger handelt vom Übergang des Mythos in die Geschichte, dem Moment, in welchem das mythische Bewußtsein dem historischen begegnet.
Die moderne Kultur basiert auf Entmythologiserung, was eine Art der Verfolgung des Heiligen durch eine von Grund auf entheiligte Kultur ist. Doch Mythen kommen immer wieder zurück in die historische Welt. Das Heilige kann selbstverständlich nicht verschwinden. Mythische Kräfte dringen in das, was wir Geschichte nennen, ein, auf die eine oder andere Weise, und sei es in der Form der Pseudomythologie der modernen Zeiten.
Nun sind wir Zeugen des Zusammenbruchs der historischen Welt. Wir sind nicht in der Lage, all die Auswirkungen dieser Veränderungen zu bedenken. Es ist keine bloße Rückkehr zur vorgeschichtlichen Zeit, sondern etwas Anderes und Unbenanntes.
Das Buch „The Return…“ stellt solche Fragen, und in einer Weise reaktualisiert es mythische Inhalte in den Begriffen einer noch entheiligten Kultur als postmodern.
Nortexa: Sie arbeiten in verschiedenen Genres. Gedichte, Geschichten und kurze Essays, welche doch in einer literarischen Weise geschrieben sind. Welche Arten von Texten sind in „Return of Myth“ enthalten?
Nad: In Serbien wurde 2010 ein Buch mit dem gleichen Titel veröffentlicht. Es ist ein umfassendes Buch, welches über 300 Seiten hat und eine Art Querschnitt meiner literarischen Arbeit darstellt. Das Buch “Return of Myth”, welches gerade auf Englisch durch den Verlag Manticore Press in Melbourne veröffentlicht wurde, ist eine Auswahl aus diesem Werk und etwas mehr. Das Buch, geschaffen in einer Zusammenarbeit mit Gwendolyn Taunton, ist in der Tat eine mögliche Auswahl, welche Gedichte, Kurzgeschichten und Essays beinhaltet, alle Genres, abgesehen vom Roman. Das Buch ist in drei Teile geteilt: „The Return of Myth“, „Symbols of Hyperborea“ und „Stories and chronicles.“
In diesem Buch sind wichtige mythische Topographien. Einige Kapitel sind hyperboräischen Mythen geweiht, dem Osten und dem Westen, dem Land und dem Ozean, der Ordnung und dem Chaos, der Sprache als Diskurs von Wesen, Mythos und Tradition… seine Darsteller sind, unter anderem, Helden und Götter.
Es kann als Symptom betrachtet werden: ein Symptom der Schwächung des historischen und der Stärkung des mythischen Bewußtseins.
Nortexa: Welche Autoren schätzen Sie persönlich am meisten?
Nad: Die Liste ist lang, und so ist jede Wahl notwendigerweise willkürlich. Zum Beispiel die verfluchten Dichter, wie Novalis und Arthur Rimbaud. Russische Klassiker, die Klassiker der französischen Literatur, wie Gustave Flaubert. Es gibt auch eine serbische epische Dichtung, die meist Filip Visnjic zugeschrieben wird, einer Art serbischem Homer. Homer. Serbische Autoren wie Miloš Crnjanski, der in Deutschland, soweit ich weiß, nicht sehr bekannt ist.
Der deutsche Autor Ernst Jünger, der Schriftsteller und Denker ist. Dann eine Reihe von Figuren wie René Guénon, Julius Evola, Denker, die nun zu den Traditionalisten gezählt werden.
Außerdem können wir nicht nur von guten, sondern auch von weniger bedeutenden, um nicht zu sagen schlechten, Autoren lernen: wie man es nicht macht.
Nortexa: Wenn ich es richtig verstanden habe, sind Sie eng mit der alten jugoslawischen Avantgardekunst- und -musikszene verbunden, der Neuen Slowenischen Kunst (NSK), Laibach usw. Können Sie uns mehr dazu erzählen?
Nad: Ich denke, Sie haben Recht, und es gibt tatsächlich eine Verbindung zwischen der jugoslawischen Avantgarde und meiner literarischen Arbeit.
In den achtziger Jahren hatte das damalige Jugoslawien eine starke, interessante und inspirierende Kunstszene. Zwei Namen sind zu nennen: Laibach und Mizar. Mizar verschmelzen archaische und populäre Kultur. Laibach sind weit mehr als eine Musikgruppe. Mehr als über Einflüsse spreche ich über Verwandtschaften. Wir könnten von „Strahlungen“ reden.
Laibach waren, meiner Meinung nach, ein faszinierendes und sehr wichtiges künstlerisches Phänomen. Hier denke ich zuerst an ihre Arbeitsweise, welche auf Eklektizimus und Verneinung der Originalität liegt, zumindest in der Hinsicht, daß diese Idee in der modernen Kunst vorausgesetzt wird. (Originalität bedeutet etymologisch letzten Endes Ursprünglichkeit; in der modernen Kunst ist Originalität nur ein Marktbegriff.)
Laibach ist das künstlerische Konzept. Sie benutzen die Sprache der Politik und verstörende totalitäre Ästhetik. Ich bevorzuge, den mythischen Inhalt zu nutzen. Literatur basiert letztlich auf einem Mythos. Diese Literatur berührt eine tiefere Realität und darin enthaltene „gefährliche Intuitionen“, sie geht zurück zu dem von Archetypen bewohnten Gebiet. Und heilige Geographie und Geopolitik sind von den mythologischen Vorstellungen und Motiven abgeleitet. Hier sind ihre Wurzeln und ihre tiefste Ebene. Eine der grundlegenden und vielleicht die älteste ist der Konflikt zwischen dem Seeungeheuer, Leviathan, und dem Landtier, Behemoth. Doch in beiden Fällen scheinen dort sehr tiefe Archetypen zu sein.
Nortexa: Generell interessieren Sie sich sehr für Musik, und einige Ihrer Gedichte wurden als Liedtexte genutzt…
Nad: Ich denke, daß Musik für die Dichtung sehr wichtig ist. Dichtung baut auf Musik auf. Die erste derartige Zusammenarbeit war eine Kooperation mit dem italienischen Musikprojekt Thulesehnsucht In Der Maschinenzeit (TSIDMZ), mit dem italienischen Künstler Solimano Mutti, welcher Musik zu dem Ithaca genannten Text komponierte. Seine Premiere folgte 2013 in Mailand auf einem Industrial-Musikfestival.
Die spanische Band Suveräna hat „25 Days of Gods“ aufgenommen. Im Original war es „Der Tag der Götter“, ein Lied, welches eine Beschreibung slawischer Begräbnisrituale ist, gemäß den Aufzeichnungen, die der arabische Reisende Al Masudi hinterließ.
In Zusammenarbeit mit TSIDMZ, La Dernière Attaque und Sonnenkind, einem deutschen Musikprojekt, wurde eine Aufnahme des „War Song (Gods of War)“ geschaffen, dem Baron Ungern-Sternberg gewidmet, welche auf einem Sampler der Eurasian Artists Association namens „The IVth Revolution“ veröffentlicht wurde.
All diese Stücke finden sich auf einer Mini-CD namens „Sailing to Ithaca“, welche 2013 in Deutschland beim Label SkullLine herauskam.
Ich hoffe, es wird mehr solcher Kooperationen geben. Über einige wurde bereits Einigkeit erzielt, sie sollten bald veröffentlicht werden.
Nortexa: Es gab Pläne, ein Periodikum namens „The New Antaios Journal“ herauszubringen, welches der Tradition des originalen Antaios Journals folgen sollte, welches einst von Ernst Jünger und Mircea Eliade begründet worden war. Wie ist der aktuelle Stand dieses Projekts?
Nad: Dieses Projekt ist derzeit leider auf Eis gelegt, oder im tiefen Winterschlaf. Es war von dem Schriftsteller Thor Einar Leichhardt, einem ganz beachtlichen Autoren, welcher jetzt in Nordirland lebt und arbeitet, ins Leben gerufen worden. Ich hatte auf seinen Ruf nach Zusammenarbeit geantwortet. Der Stand dieses Projektes hängt derzeit nicht von mir ab, es liegt vermutlich an persönlichen Gründen oder vielleicht anderen gegenwärtigen Hauptbeschäftigungen. Ich hoffe, es wird in der näheren Zukunft verwirklicht werden.
Nortexa: Bald schon soll auch Ihr erstes Buch für den kroatischen Markt erscheinen. Erwarten Sie einen gewissen Erfolg in Kroatien?
Nad: Ich erwarte keinen Erfolg, ich denke nicht in diesen Kategorien. Jeder Erfolg ist relativ, nicht wahr? Ich erwarte, daß dieses Buch in gutem Glauben und ohne böse Absichten aufgenommen wird. Selbst das würde viel bedeuten. Es ist, auf eine Weise, eine verzwickte Angelegenheit: ein serbischer Schriftsteller präsentiert sich in Kroatien durch ein ins Kroatische übersetztes Buch. Ist das nicht der Preis, den wir für unsere gemeinsame Geschichte bezahlen?
Nortexa: Die vorherige Frage führt uns zu einem mehr politischen Thema. Wie ist heutzutage das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten? Sind die Wunden wichtiger, oder gibt es mehr Bewußtsein über ein gemeinsames Erbe und eine gemeinsame gegenwärtige Bedrohung?
Nad: Ich denke, daß das Verhältnis immer noch schlecht ist, viel schlechter, als es sein sollte.
Im heutigen Kroatien wird der Unterschied zu den östlichen und orthodoxen Nachbarn in jeder Hinsicht betont. Allerdings vertreten heute einige kroatische Historiker und Linguisten die Auffassung, daß Kroaten und Serben ein Volk (eine Nation) sind. Dafür gibt es ernstzunehmende anthropologische, historische, linguistische und kulturelle Argumente. Wir sprechen auch heute noch die gleiche Sprache. Dies sind Fakten, die nicht von den politischen Verbindungen abhängen. Und Fakten können nicht ignoriert werden.
Leider fehlt das Bewußtsein einer gemeinsamen Bedrohung in der Regel bei beiden Völkern. Kroatien besteht nun auf seiner Zugehörigkeit zu Mitteleuropa – und nicht dem Balkan. Indes ist der Balkan eine der Quellen europäischer Kultur, die Helden von Homers Ilias waren Balkanesen. Dies ist eine legitime Position, wenn es die kontinentale Stabilität nicht gefährdet. In geopolitischen Begriffen: Mitteleuropa ist legitim, wenn es dem Konzept des Ostens – Eurasien – nicht entgegensteht. Ansonsten ist es ein Pfad der Destablisierung. Wie Sie sehen können, ist diese Frage eng verbunden mit den Beziehungen zwischen Rußland/Eurasien und Mitteleuropa/Deutschland. Ich denke, daß ganz genau die geopolitische Orientierung Deutschlands der Schlüssel für kontinentale Sicherheit und Wohlergehen ist: entweder eine Orientierung nach den Vereinigten Staaten (wie es heute der Fall ist), oder nach Rußland. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.
Nortexa: Serbien scheint, obwohl seine gegenwärtige Regierung den Forderungen von EU und NATO weitgehend entgegenkommt, unter ständiger Attacke der transatlantischen Kräfte zu sein. Was passiert derzeit in und um Serbien in dieser Hinsicht, und warum?
Nad: Ja, Serbien steht unter permanentem Druck der transatlantischen Kräfte, nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kultur, in der Wirtschaft, in jedem Bereich. Wir sind gezwungen, westliche Modelle anzunehmen, aber wir tun dies zögernd und unter Zwang.
Letztlich hat Serbien der westlichen (amerikanischen) Hegemonie lange widerstanden, selbst militärisch, während der NATO-Aggression. Es ist nicht überraschend, daß es sich nun wie eine Art Erschöpfung anfühlt. Ich glaube, dies ist nur ein vorübergehender Zustand.
Allerdings ist der gesamte Balkan weit von Stabilität entfernt. Schauen Sie auf die Situation in Mazedonien und Bosnien und die Ereignisse in der Republik Srpska… faktisch das gesamte ehemalige Jugoslawien. Unserer Ansicht nach sind neue Konflikte auf dem Balkan nicht ausgeschlossen, sie sind in Mazedonien bereits auf dem Weg, wo derzeit eine “Farbrevolution” stattfindet, gemäß dem Diktat Washingtons.
Nortexa: Wie realistisch sind die Chancen, daß Serbien wirklich aus dem westlichen Block ausbrechen und seine alte und weit natürlichere Allianz mit seinem orthodoxen Bruderstaat Rußland erneuern wird?
Nad: Die westliche Politik erfreut sich in Serbien keiner sonderlichen Beliebtheit. Die serbischen Sympathien sind heutzutage auf der russischen Seite, und ich denke, dies beruht auf Gegenseitigkeit. Wir sind durch sehr tiefe Beziehungen verbunden – ethnisch, religiös, kulturell und historisch. In diesem Sinne kann Serbien niemals Teil des westlichen Blocks werden. Es kann besetzt werden, erniedrigt, wahrscheinlich geteilt, doch nur für eine Weile. Die Serben haben ein Sprichwort: jede Kraft für eine Zeit.
Dies wird durch die Geschichte bestätigt. So war das Schicksal des Römischen Reiches und des Byzantinischen Reiches, des Ottomanischen Reiches und der Habsburger Monarchie. Glaubt heutzutage wirklich irgendwer ernsthaft, die Geschichte wird mit der amerikanischen Hegemonie enden und die Periode der amerikanischen Vorherrschaft wird ewig währen?
Die Allianz mit Rußland ist notwendig und natürlich, also ist das, aus unserer Sicht, nur eine Frage der Zeit.
Nortexa: Was erwarten Sie generell hinsichtlich der Beziehung zwischen Orthodoxie und Katholizismus?
Nad: Diese Beziehungen waren historisch lange durch gegenseitige Rivalität und Mißtrauen belastet. Ich muß hinzufügen: auch durch den aggressiven Missionsdrang der katholischen Kirche.
Ein Bewußtsein der Nähe war abwesend, zeitweilig auf beiden Seiten, was die Ursache vieler Unglücke war, welche die christliche Welt getroffen haben. Wir sollten die Niederlage von Byzanz als Beispiel nehmen, welche den Verlauf der Geschichte in Europa verändert hat. Heute sollten wir uns des Schicksals der Christen im Nahen Osten bewußt sein, zum Beispiel in Syrien. Ich denke, daß beide, Katholizismus und Orthodoxie, jetzt bedroht sind.
Eine gemeinsame Erklärung, die der russische Patriarch Kirill und Papst Franziskus in Kuba unterzeichnet haben, gibt der Hoffnung etwas Raum, da der Papst mit dieser Erklärung der unierten Kirche abgeschworen hat.
Die Gemeinschaft der Christen ist, in einem Wort, notwendig, doch nicht unter der Führung des Papstes. Das ist für die orthodoxe Bevölkerung inakzeptabel. Während wir an die eine Katholische und Apostolische Kirche glauben, dürfen wir nicht vergessen, daß diese Kirche orthodox ist.
Nortexa: Können Sie uns etwas über Projekte, an denen Sie derzeit arbeiten, berichten? Was können wir in der Zukunft von Ihnen erwarten?
Nad: Nun, eine Idee ist ein Buch auf Deutsch. Ich hoffe, daß sich dies in absehbarer Zeit verwirklichen läßt.
Nortexa: Herr Nad, danke, daß Sie unsere Fragen beantwortet haben!
Nad: Danke noch einmal für dieses Interview.
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